Rückblick Gedenkveranstaltung "30 Jahre Magdeburger Himmelfahrtskrawalle"

"Baseballschlägerjahre" als Auf- und Umbruchzeit für die Zivilgesellschaft

Am 8. Mai 2024 haben wir zur Gedenkveranstaltung "30 Jahre Magdeburger Himmelfahrtskrawalle" eingeladen. Unserer Einladung folgten zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Zivilgesellschaft, Kirche und Wissenschaft. In Vorträgen, Filmbeiträgen und Zeitzeug*innengesprächen ging es um den Himmelfahrtstag 1994 aber auch die sogenannten "Baseballschlägerjahre" insgesamt als Auf- und Umbruchzeit für die Zivilgesellschaft.
 
In der Folge der gewaltvollen pogromartigen Ausschreitungen am 12. Mai 1994 und des Schocks darüber gründeten sich zahlreiche zivilgesellschaftliche Strukturen und Initiativen, um für eine demokratische, wehrhafte und vielfältige Nachwende-Gesellschaft in Magdeburg und Sachsen-Anhalt einzutreten. Darunter das Fest der Begegnung zwischen Polizei, Kirche und interkulturellen Vereinen oder das Café Krähe der Hoffnungsgemeinde.
Der Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V. und der Deutsch-Vietnamesische Freundschaftsverein gründeten dann 1995 mit acht weiteren Organisationen die AGSA, die seit 1996 Trägerin der Landesliegenschaft einewelt haus Magdeburg ist. Auch der Beirat für Integration und Migration ging damals seine ersten Schritte.
 
Vielen Dank den Besucher*innen der Veranstaltung und allen, die ihre Erfahrungs- und Wissenschaftsperspektive eingebracht haben (in alphabetischer Reihenfolge):
 
David Begrich, Arbeitsstelle Rechtsextremismus bei Miteinander e.V., Pascal Begrich, Geschäftsführer Miteinander e.V. und Vorstand AGSA, Krzysztof Blau, Integrationsbeauftragter der LH Magdeburg, Abdoul Coulibaly, wurde 1997 1. Ausländerbeauftragter der Landeshauptstadt Magdeburg, Vu Thi Hoang Ha, beriet damals ehemalige vietnamesische Vertragsarbeitnehmende und war über den Deutsch-Vietnamesischen Freundschaftsverein Mitgründerin der AGSA, Monika Peisker, Pfarrerin der Hoffnungsgemeinde, Mitveranstalterin Fest der Begegnung, Dach des Café Krähe, das infolge der Himmelfahrtskrawalle entstand., Dr. Helge Petersen, Post-Doktorand im Projekt „Integrative Demokratieforschung im Land Sachsen-Anhalt“ und Mitglied im Vorstand des Instituts für demokratische Kultur der Hochschule Magdeburg-Stendal, Christina und Eberhard Vater, ehem. Ausländerbeauftragte der Ev. Landeskirche, Mitinitiatoren des Dialogs zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Akteuren

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Es folgt ein Bericht auf dem Landesintegrationsportal, erschienen am 9. Mai 2024: https://integrationsbeauftragte.sachsen-anhalt.de/news-detail/gedenkveranstaltung-im-einewelt-haus-politik-und-zivilgesellschaft-erinnerte-an-die-himmelfahrtskrawalle-in-magdeburg-vor-30-jahren:

Gedenkveranstaltung im einewelt haus: Politik und Zivilgesellschaft erinnerte an die „Himmelfahrtskrawalle“ in Magdeburg vor 30 Jahren

09.05.2024
Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Zivilgesellschaft, Kirche und Wissenschaft haben am 8. Mai in Magdeburg an die rassistischen, sogenannten Himmelfahrtskrawalle in der Domstadt 1994 erinnert. Auch Zeitzeuginnen und Zeitzeugen kamen zu Wort.

Ausgerichtet wurde die musikalisch umrahmte Gedenkveranstaltung „30 Jahre Magdeburger Himmelfahrtskrawalle“ im Saal des einewelt hauses von der Auslandsgesellschaft Sachsen-Anhalt e.V. (AGSA) in Kooperation mit dem Beirat für Integration und Migration der Landeshauptstadt Magdeburg.

Manja Lorenz von der AGSA äußerte sich zur Begrüßung erfreut über die hohe Anzahl von Teilnehmenden und deren großer Vielfalt. Unter den Veranstaltungsgästen war unter anderem auch die Integrationsbeauftragte der Landesregierung, Staatssekretärin Susi Möbbeck, sowie Landtagsabgeordnete.

Ein wissenschaftlicher Impuls von Dr. Helge Petersen, Post-Doktorand im Projekt „Integrative Demokratieforschung im Land Sachsen-Anhalt“ und Mitglied im Vorstand des Instituts für demokratische Kultur der Hochschule Magdeburg-Stendal, bildete den Auftakt. Sein Referat hatte das Thema „Die rassistischen Ausschreitungen in Magdeburg am Himmelfahrtstag 1994 – Ein Wendepunkt im politischen und zivilgesellschaftlichen Engagement gegen Rassismus in Sachsen-Anhalt?“ Diese Fragestellung wurde letztlich mit Ja beantwortet, in der Diskussion fiel das Wort Zäsur.

Bei der Gedenkveranstaltung war auch von einem Versagen von Polizei, Politik und Zivilgesellschaft in Bezug auf die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus damals die Rede. Wie Dr. Petersen darlegte, gab es nach dem Abschluss von Ermittlungsverfahren gegen 86 Tatverdächtige zehn Gerichtsprozesse mit acht Verurteilungen. Gegen 15 Polizisten wurden ebenfalls Ermittlungsverfahren geführt, davon wurden 14 Verfahren eingestellt. Der dann einzige Gerichtsprozess endete mit einem Freispruch.

Im Programm folgten nach dem Impuls Filmausschnitte unter anderem mit Reportagen von den Krawallen 1994 und der Entwicklung danach sowie ein Interview mit Abdoul Coulibaly, der 1997 erster Ausländerbeauftragter der Landeshauptstadt Magdeburg geworden war, und Vu Thi Hoang Ha. Sie hatte damals ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeiter beraten und war über den Deutsch-Vietnamesischen Freundschaftsverein Mitgründerin der AGSA. Vu Thi Hoang Ha sprach von einer anderen Qualität des Handelns heute: so gehe es den Migrantinnen und Migranten nicht mehr nur um Fragen des Bleiberechts, sondern um den Kampf, Teil der Gesellschaft zu sein und nicht nur eine Randgruppe.

Ein Podiumsaustausch führte neben Akteuren von nach 1994 entstandenen Initiativen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zusammen, darunter zum Beispiel Christina und Eberhard Vater, den beiden Ausländerbeauftragten der damaligen Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen. Sie waren Mitinitiatoren des Dialogs zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Akteuren.

Wichtige Diskussionspunkte waren etwa, das Bewusstsein bei allen Menschen zu schaffen, dass Zugewanderte ein selbstverständlicher Teil der Gesellschaft mit unterschiedlichen Biografien und Herkünften sind, sowie ernsthafte Gefährdungen der Demokratie heute.

Die Ereignisse des Himmelfahrtstages am 12. Mai 1994 erschütterten Magdeburg und Sachsen-Anhalt; die Bilder von Hooligans und Rechtsextremen, die Ausländer verprügelten und durch die Innenstadt jagten, sorgten weltweit für Schlagzeilen. Das Datum ist zugleich ein Ausgangspunkt für die Gründung zahlreicher Organisationen, Initiativen und Gremien, die sich als wehrhafte und engagierte Zivilgesellschaft für den Schutz diskriminierter Gruppen sowie gelebte Vielfalt und Demokratie einsetzten und es bis heute tun.

Darunter ist die AGSA, aber auch der Ausländerbeirat – der heutige Magdeburger Beirat für Integration und Migration – oder das Café Krähe der Evangelischen Hoffnungsgemeinde sowie das regelmäßige „Fest der Begegnung“ von Polizei, Kirche und Zivilgesellschaft. Es lockte im großen Format in den Anfangsjahren mitunter bis zu 15.000 Besucher an und zählte seinerzeit zu den größten interkulturellen Einzelveranstaltungen in Sachsen-Anhalt.

Nach dem jüngsten Fest 2023 an der Hoffnungsgemeinde ist im September eine Planungsrunde für die zukünftige Ausrichtung des Begegnungsfestes vorgesehen. Neben den bisherigen Partnern AGSA, Hoffnungsgemeinde, Polizei Sachsen-Anhalt und THW sind auch weitere neue Akteurinnen und Akteure in der Organisationsgruppe herzlich willkommen.

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